Die Bezeichnung als „ältestes Gewerbe der Welt“ hält sich hartnäckig – doch ein genauerer Blick in die Geschichte zeigt: Die Entwicklung der Prostitution ist weitaus vielschichtiger und komplexer als dieser vereinfachende Mythos vermuten lässt. Das älteste Gewerbe der Welt? Prostitution im Wandel der Zeit betrachtet dieser Artikel genauer.

Von spirituellen Anfängen über mittelalterliche Schutzkonzepte bis hin zu modernen Gesetzesreformen spiegelt ihre Geschichte auch immer den jeweiligen Umgang der Gesellschaft mit Sexualität, Macht und sozialer Gerechtigkeit wider. Eine Betrachtung dieser Entwicklung offenbart sowohl bemerkenswerte Fortschritte als auch fortbestehende Herausforderungen.

Das älteste Gewerbe? Frühe Tempelrituale und Hetärinnen

Die Geschichte der Prostitution beginnt überraschend differenziert: Im antiken Babylon waren sexuelle Begegnungen Teil spiritueller Rituale, die der Verehrung der Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar dienten. Besonders beeindruckend entwickelte sich das System im antiken Griechenland.

Die Hetärinnen waren hochgebildete, unabhängige Frauen, die als geschätzte Gesprächspartnerinnen auf philosophischen Symposien brillierten und das kulturelle Leben maßgeblich mitgestalteten.

Allerdings gab es auch damals schon eine deutliche Schattenseite: Die sogenannten Pornai lebten als Sklavinnen unter oft menschenunwürdigen Bedingungen. Die archäologischen Funde in Pompeji belegen eindrucksvoll diese frühe Zweiteilung der Gesellschaft.

Mittelalter: Zwischen Unterstützung und Verfolgung

Die mittelalterliche Kirche entwickelte bemerkenswert fortschrittliche Ansätze: Klöster boten Schutzräume für ausstiegswillige Frauen und ermöglichten ihnen einen Neuanfang.

Besonders wegweisend war die Politik von Papst Innozenz III., der die gesellschaftliche Wiedereingliederung aktiv förderte. Städte wie Augsburg schufen erste regulierte Rahmenbedingungen – ein früher Versuch, mehr Sicherheit zu etablieren.

Gleichzeitig führte die Reformation zu drastischen Rückschritten: In Genf wurden unter Calvin drakonische Strafen eingeführt, die das Leben vieler Frauen gefährdeten.

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Industrialisierung: Licht und Schatten der Entwicklung

Das 19. Jahrhundert brachte neben wichtigen Reformbewegungen auch große soziale Probleme. Engagierte Sozialreformer:innen setzten sich erstmals systematisch für bessere Arbeitsbedingungen und medizinische Versorgung ein. Allerdings zwang die weit verbreitete Armut viele Frauen in die Prostitution.

In London entstanden zwar erste Beratungsstellen, die medizinische und soziale Unterstützung anboten, doch die Situation im Haymarket-Viertel blieb prekär. Die preußische „Sittenpolizei“ führte zwar Kontrollen ein, diese dienten aber oft mehr der Überwachung als dem Schutz der Frauen.

Im Ruhrgebiet wuchs mit dem Zuzug vieler Arbeiter auch die Nachfrage nach käuflichem Sex, sehr früh gab es schon ein Bordell in Essen. In den schnell wachsenden Städten entstanden neue Arbeitersiedlungen, oft unter schwierigen Wohnbedingungen, was wohl auch die Prostitution förderte.

Das älteste Gewerbe: Fortschritte und ihre Grenzen

Das deutsche Prostitutionsgesetz von 2002 markierte einen wichtigen Meilenstein: Erstmals wurde Sexarbeit als legale Tätigkeit anerkannt. Allerdings zeigen die Zahlen auch deutliche Defizite: Von den geschätzten 400.000 Sexarbeiter:innen meldete sich nur ein Bruchteil sozialversichert an.

Das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 brachte zwar weitere Verbesserungen wie verpflichtende Gesundheitsberatungen, schuf aber auch neue bürokratische Hürden. Moderne Online-Plattformen ermöglichen heute mehr Selbstständigkeit, bergen jedoch auch Risiken digitaler Ausbeutung.

Eine Evaluation des Gesetzes aus dem Jahr 2019 zeigte gemischte Ergebnisse: Während einige Bundesländer vorbildliche Beratungsstrukturen aufbauten, fehlt es in anderen noch immer an grundlegenden Unterstützungsangeboten. Besonders die mangelnde mehrsprachige Beratung wird von Fachverbänden kritisiert.

Das älteste Gewerbe und Schutzkonzepte von heute

In den letzten Jahren haben sich vielversprechende neue Ansätze entwickelt: Ausstiegsprogramme bieten umfassende Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung. Spezialisierte Beratungsstellen arbeiten eng mit Gesundheitsämtern und Sozialeinrichtungen zusammen.

Die Polizei hat Fachabteilungen eingerichtet, die gezielt gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen. Dennoch bleibt die Dunkelziffer der Zwangsprostitution besorgniserregend hoch. NGOs leisten wichtige Präventionsarbeit, kämpfen aber oft mit knappen Ressourcen.

Modellprojekte zeigen, wie erfolgreiche Zusammenarbeit verschiedener Akteure aussehen kann: Hier kooperieren Beratungsstellen, Gesundheitsämter und Polizei in einem niedrigschwelligen Hilfsangebot. Auch psychologische Unterstützung und Traumabewältigung spielen eine zunehmend wichtige Rolle.

Zukunftsperspektiven: Zwischen Hoffnung und Realität

Die aktuellen Entwicklungen zeigen vielversprechende Wege auf: In Schweden hat ein neuer rechtlicher Rahmen bereits zu deutlichen Verbesserungen geführt, auch wenn Kritiker:innen eine Verlagerung in die Illegalität befürchten. Das „nordische Modell“ der Freierbestrafung wird mittlerweile in mehreren europäischen Ländern diskutiert.

Auch in Deutschland arbeiten NGOs und Politik gemeinsam an modernen Schutzkonzepten. Digitale Technologien bieten neue Chancen für mehr Sicherheit und Autonomie, erfordern aber auch ständige Anpassung der Schutzmaßnahmen. Internationale Kooperationen stärken den Kampf gegen Menschenhandel, während die organisierte Kriminalität immer neue Wege der Ausbeutung sucht.

Ansätze wie anonyme Online-Beratung und mehrsprachige Apps erreichen zunehmend auch vulnerable Gruppen. Die EU-weite Vernetzung von Hilfsorganisationen ermöglicht schnellere Intervention bei Verdacht auf Menschenhandel.

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Das älteste Gewerbe der Welt? Prostitution im Fazit

Diese differenzierte historische Betrachtung zeigt: Es wurden wichtige Fortschritte im Schutz und in der rechtlichen Stellung von Sexarbeiter:innen erreicht. Gleichzeitig bleiben große Herausforderungen bestehen. Der Weg zu echter Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Anerkennung erfordert weiterhin großes Engagement aller Beteiligten. Neue Modelle machen aber Mut, dass positive Veränderungen möglich sind.