Im Gespräch mit den Geschäftsführern der Velofaktur, Jochen Petzold und Bernd Voss, über die aktuellen Entwicklungen auf dem Fahrradmarkt 2022 und die Besonderheiten der „Fahrrad-Hauptstadt“ Münster.
Wie sich die Coronapandemie auf das Geschäft ausgewirkt hat und für wen der Beruf des Zweiradmechanikers geeignet ist, erzählen uns die beiden Unternehmer in unserem Interview genauer.
Der Fahrradmarkt 2022 und seine Veränderungen
Wie hat sich der Fahrradmarkt 2022 in Deutschland seit Corona verändert – insbesondere für Euch als Betreiber einer Werkstatt und des Fachhandels?
Jochen Petzold: Das wichtigste und größte ist, dass es eine unglaublich hohe Nachfrage gibt, die so immens ist, dass wir sogar Probleme haben, diese überhaupt zu bedienen. Gleichzeitig gibt es Engpässe, was die Produktion, Lieferung und Transportwege angeht – so wie für andere Branchen natürlich auch.
Bernd Voss: Corona hat diese Lage ja sogar noch verschlimmert. Die Nachfrage nach Fahrrädern oder nach Reparaturen war auch vor der Pandemie schon sehr hoch und stetig ansteigend. Corona hat dies dann dementsprechend um 50 bis 80 Prozent verstärkt, weil in dieser Zeit viele auf das Fahrrad als einziges nutzbares Transportmittel umgestiegen sind.
Welche neuen Fahrrad-Technologien haben sich in den letzten Jahren entwickelt und auf dem Fahrradmarkt 2022 durchgesetzt?
Bernd Voss:Die E-Bike-Technologien wurden insbesondere durch ganz viele Antriebseinheiten mit einem Riemen ergänzt. Dazugekommen sind Aufrüsteinheiten oder Navigationssysteme, die in manchen Pedelecs integriert sind.
Besonderheiten der „Fahrrad-Hauptstadt“ Münster
Ihr sitzt mitten in der „Fahrrad-Hauptstadt“ Münster. Gibt es dort Besonderheiten, die in anderen Großstädten anders sind?
Jochen Petzold: Also wir können froh sein, dass es in Münster keine Hauptsaison gibt. Es gibt keine Frühlingssaison, in der man das Fahrrad aus dem Keller holt und wieder für den für den Sommer aufrüstet. Sondern bei uns ist das einfach ein laufender Kreislauf für das Geschäft – die Werkstatt wie auch der Verkauf laufen das gesamte Jahr. Das ist das Besondere hier in Münster.
Und natürlich spielen dabei viele Faktoren eine tragende Rolle: Die Fahrräder müssen alltagstauglich sein und möglichst wenig verschleißen. Und das ist eine besondere Aufgabe für uns, auch in der Werkstatt.
Bernd Voss: Der Münsteraner fährt immer, bei Wind und Wetter, zu jeder Jahreszeit. Für viele gab es wahrscheinlich wegen des Schneetreibens vor zwei Jahren eine kleine Auszeit, da es einfach nicht möglich war, zu fahren. Aber ansonsten fährt der Münsteraner immer und das macht es vielleicht auch aus. Ich weiß es aus anderen Bereichen, aus anderen Städten, in denen es immer eine Saison gibt. Aber in Münster fährt der Fahrradfahrer durchgehend und da muss natürlich das Fahrrad dahingehend das ganze Jahr über funktionieren. Ein Ausfall wird in der Regel nicht toleriert.
Entwicklung der Branche und Auswirkungen auf die Werkstatt
Es gibt immer größere, komplexere und teurere Fahrräder – Lastenräder und E-Bikes kosten ein Vielfaches von dem, was ein einfaches Fahrrad (früher) gekostet hat. Was bedeutet das für euch als Werkstatt?
Bernd Voss: Dem stellen wir uns natürlich. Die Preisentwicklung ist aber auch damit zu erklären, dass die Räder auch alles machen müssen: Einkäufe, Kindertransport, Hundetransport. Das bedeutet, dass die Räder komplexer werden und darum auch die Preisstrukturen gestiegen sind. Und gerade der Unterhalt dieser Räder ist durch den erhöhten Einsatz auch viel aufwendiger geworden.
Der Kunde fordert es aber auch, dass ein solches Fahrrad als Autoersatz dient, gerade in Hinsicht auf Lastenräder. Ziel ist immer mehr, das Auto stehenzulassen und das Fahrrad zu nutzen. Und so sind die Kundinnen und Kunden dann auf dieses Fahrrad angewiesen. Ein Werkstattaufenthalt ist schließlich viel aufwendiger und komplexer. Das Personal muss mehr geschult und mit der Materie vertraut gemacht werden, sodass wir auch da eine Kostenentwicklung haben.
Angesichts der technischen Entwicklung, wie wird die Vielfalt an Fahrradmarken und folglich auch technischen Unterschiede in der Werkstatt gehandhabt?
Jochen Petzold: Wir helfen natürlich immer, wo wir können. Doch einerseits gibt es den Fachkräftemangel, der uns auch betrifft, sodass wir nicht genügend Mechaniker finden. Andererseits sind wir auch von der Größe der Werkstatt gar nicht so aufgestellt, dass wir alles bedienen können – Stichwort: Lastenräder. Die Lastenräder werden so groß, dass wir teilweise Hebebühnen bräuchten, um diese Räder zu transportieren oder zu warten.
Darüber hinaus ist uns die Weiterbildung unserer Mechaniker auch wichtig. Wir können aber nicht mehr jeden Antrieb, jeden Anbieter, jede Marke abdecken, weil wir sonst für jedes Pedelec eine individuelle Schulung bräuchten. Das kann natürlich keiner abdecken.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen für eine Fahrradwerkstatt insgesamt verändert?
Jochen Petzold: Es gibt den sogenannten selektiven Vertrieb, in dem Marken spezielle Vertragspartner wählen, die dann nur ihr Produkt verkaufen. Anderen Werkstätten wird es fast unmöglich gemacht, dieses Produkt zu reparieren. Die klassischen Fahrradläden spezialisieren sich infolgedessen immer weiter und entwickeln sich sogar hin zu reinen Marken-Stores.
Auch für Zugänge von Software-Updates muss man muss sich zunächst qualifizieren und als Team Schulungen besuchen. Und das lässt sich einfach nicht alles abdecken, das schafft man gar nicht. Das heißt, dass wir auch einem gewissen Druck von den Herstellern ausgesetzt sind.
Fachkräftemangel auf dem Fahrradmarkt 2022
Auch bei Euch ist der Fachkräftemangel des Handwerks spürbar. Für wen bietet die Ausbildung und der Beruf Zweiradmechaniker eine attraktive Perspektive?
Bernd Voss: Nach wie vor für alle technisch Interessierten, da es einfach ein sehr praktischer und abwechslungsreicher Beruf ist. Ein Computer ist am Arbeitsplatz gar nicht mehr wegzudenken. Auch für diejenigen ist es geeignet, die sich gerne in neue Dinge reinarbeiten und auch ein Händchen für die Beratung haben. Die Schnittstelle zwischen Werkstatt und Verkauf oder Vertrieb wird immer wichtiger.
Außerdem ist es eine nachhaltige Branche, die gerade erst gelernt hat, zu laufen. Da ist noch so viel Potenzial und für die Zukunft scheint es durch diese Mobilitätsrevolution keine bessere Branche zu geben. Im Vergleich zu der Automobilbranche ist der Fahrradmarkt 2022 prädestiniert dafür, die Zukunft nachhaltig mitzugestalten.
Zu unserem letzten Interview mit Handwerksunternehmern gelangt ihr hier: Interview mit Handwerksunternehmern – Praxiserfahrung im Handwerk ist das A und O.